Funktionale Systemanforderungen evaluieren und umsetzen

Die Definition, Einführung und langfristige Führung von Records Management sind interdisziplinäre, jedoch primär fachlich-organisatorische Aufgaben. Das operative Records Management kommt dagegen nicht ohne technische Infrastruktur aus.

Dies sind heute primär Funktionen in Software-Anwendungen. Einige Funktionen werden direkt in den Geschäftsprozessen genutzt (zum Beispiel Ablage, Verzeichnung, Suche und Zugriff), andere stellen eigene Unterstützungsprozesse dar (zum Beispiel Aussonderung, Aufbewahrung und Vernichtung).

Welche IT-Produkte dazu eingesetzt werden, spielt keine Rolle, solange damit das Ziel des Records Management — vertrauenswürdige Geschäftsunterlagen — erreicht wird. Bei der Beschaffung oder Entwicklung neuer oder der Beurteilung bestehender IT-Anwendungen kann es jedoch hilfreich sein, die Erfüllung bewährter funktionaler Anforderungen zu prüfen.

Der dreiteilige Standard ISO 16175-x «Principles and functional requirements for records in electronic office environments» bietet dazu eine solide Grundlage und ist mit den anderen massgebenden ISO-Standards abgestimmt: die Schweizer Norm SN ISO 15489 «Records Management», ISO 23081 (Metadaten für Records) und ISO/TR 26122 (Geschäftsprozessanalyse für Records).

  • ISO 16175-1:2010 — Beschreibt die allgemeinen Erfolgsfaktoren und Risiken bei der Umsetzung von Funktionen des Records Management in und mit Software-Anwendungen.
  • ISO 16175-2:2011 — Bezieht sich auf Software-Anwendungen, die primär oder ausschliesslich dem Records Management (für Dokumente) dienen, sogenannte «Elektronische Dokumenten- und Record-Management-Systeme» (EDRMS) bzw. «Enterprise Content Management» (ECM) Systeme und «Dokumenten-Management-Systeme» (DMS). Der Standard beschreibt dazu insgesamt 275 funktionale Muss/Sollte/Kann-Anforderungen in branchen- und technologie-neutraler Form.
  • ISO 16175-3:2010 — Bezieht sich auf datenbank-gestützte Fachanwendungen (Business Systems), die primär der Automatisierung von Geschäftsprozessen dienen. Der Standard beschreibt dazu insgesamt 125 funktionale Muss/Sollte/Kann-Anforderungen.

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ISO 16175: Funktionale Anforderungen für Records-Systeme

Der dritte Teil ISO 16175-3 «Guidelines and functional requirements for records in business systems» adressiert den Trend, dass bei Fachanwendungen (Business Systems) die Geschäftsunterlagen nicht mehr als unstrukturierte Dokumente erscheinen, sondern als strukturierte Datensätze in Datenbanken. Es werden drei Architekturvarianten unterschieden (Abbildungen 2 - 4 oben).

  • Export (2) — Die Fachwendung verfügt über keine Funktionen zum Records Management, erzeugt jedoch Dokumente und Metadaten, die einem EDRMS übergeben werden. Beispiele: E-Commerce-Anwendungen wie z.B. Web-Shops, Web Content Management, B2B-Systeme.
  • Integration (3) — Die Fachanwendung speichert Unterlagen in Datenbanken, ist jedoch mit einem EDRMS integriert, welches Metadaten zum Records Management verwaltet (z.B. Geschäftskontext, Aufbewahrungsplanung, Inventarisierung). Beispiele: Multimedia- und Authoring-Anwendungen, Vertrags- und Asset-Management sowie in der Regel alle Eigenentwicklungen der Organisation.
  • Selbstständig (4) — Die Fachanwendung verfügt selber über genügend Funktionen für das Records Management der in Datenbanken gespeicherten Geschäftsunterlagen. Beispiele: Unternehmenssoftware für ERP, CRM und PLM.

Die Anforderungen in ISO 16175-3 sind architekturneutral («Die Fachanwendung soll alleine, oder in Verbindung mit anderen Systemen …»), werden aber unter architekturspezifischen Aspekten diskutiert.

Bei Kaufprodukten eigenet sich ISO 16175-3 für die Evaluation bzw. die Gap-Analayse zur Bestimmung des Bedarfs für eine Integration mit einem EDRMS. Insbesondere eignet er sich aber auch als Leitlinie bei der Entwicklung eigener Fachanwendungen, intern oder durch externe Auftragnehmer.